Stellungnahme der Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler zum Haushalt 2017 in der Gemeinderatssitzung am 13. Dezember 2016

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kessing, Herr Bürgermeister Kölz, Herr Klinger, sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger unserer schönen Stadt Bietigheim-Bissingen, liebe Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat, meine Damen und Herren,

ich stehe heute hier – für viele sicher überraschend – und trage Ihnen die Haushaltsrede der Freien Wähler vor.
Unser Fraktionsvorsitzender, Steffen Merkle, hat sich am vergangenen Donnerstag, während einer Sitzung des Technischen Ausschusses, entschlossen, sein Gemeinderatsmandat niederzulegen. Am vergangenen Freitag hat er dann Herrn Oberbürgermeister Kessing einen Antrag auf Entlassung aus dem Stadtratsamt übermittelt.

Zum Hintergrund in aller Kürze: Schon seit geraumer Zeit wird in unseren Reihen immer wieder die geänderte Vergabepraxis der Stadt Bietigheim-Bissingen an Handwerker und andere Selbstständige aus dem Gemeinderat diskutiert.
In der Vergangenheit war es gute und rechtskonforme Praxis, Architekten- und Tragwerksplanungsleistungen nach HOAI, also der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, so auszuschreiben, dass die Honorarzone bereits von der Verwaltung festgelegt wurde. Bietigheim-Bissinger und auswärtige Büros wurden angeschrieben und die Vergabe erfolgte dann an eines der Büros, die die Tätigkeit zum geforderten Preis übernehmen wollten.


Bei einer der letzten Ausschreibungen war einmal mehr kein Bietigheim-Bissinger Büro aufgefordert worden, obwohl es etliche in der Stadt gibt, die zur Auftragsausführung in der Lage wären.
Bei Herrn Merkle und anderen Mitgliedern des Gremiums musste damit zum wiederholten Male der Eindruck entstehen, dass sie für ihre zeitaufwändige ehrenamtliche Tätigkeit auch noch benachteiligt, also schlechter behandelt werden, als auswärtige Unternehmen.
Oder scheuen die städtischen Ämter die rechtzeitige Genehmigungsanfrage beim Regierungspräsidium, die erforderlich ist, wenn an Gemeinderatsmitglieder Aufträge vergeben werden sollen?
Wohlgemerkt: Niemand von uns möchte eine Bevorzugung von Gemeinderatsmitgliedern! Wir möchten aber auch keine Benachteiligung.
Wir halten den Sachverstand von Bauingenieuren und Architekten im Gemeinderat für unbedingt erforderlich und bedauern auch deshalb die Entscheidung von Herrn Merkle.
Die Freien Wähler werden im kommenden Jahr klare Verfahrensweisen für die Ämter beantragen, die bei jeder einzelnen Vergabe nachgewiesen werden müssen, und somit für Gemeinderat und Öffentlichkeit transparent sind.
Und nun komme ich zu unseren Anmerkungen zum Haushaltsplan 2017. Die Rede wurde überwiegend von unserm Fraktionsvorsitzenden Steffen Merkle verfasst.

Meine Damen und Herren,
wenn wir im nun zu Ende gehenden Jahr in die Welt und ins Land hinaus schauen können wir viele Umbrüche erkennen.
Dramatische Zustände im Nahen und mittleren Osten und der Zerfall der Staaten im nördlichen Afrika entwurzeln noch immer viele Menschen und zwingen sie zur Flucht vor Krieg, Gewalt, Hunger und Elend – nach wie vor auch zu uns.
Dies sowie Terrorgefahr, rechtsnationale Tendenzen in fast ganz Europa, der Brexit oder der unerwartete Wahlausgang in den USA schaffen bei vielen Menschen Unsicherheiten. Hinzu kommt für manche noch die rasant zunehmende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, die sie um den Arbeitsplatz oder um eine angemessene Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs fürchten lässt.
Obwohl es den meisten in Deutschland so gut geht wie lange nicht, erzeugt dies alles bei nicht wenigen Bürgerinnen und Bürgern diffuse Zukunftsängste. Fakten sind offensichtlich gegen Gefühle machtlos.
Daher kann dieser gesellschaftliche Umbruch und Wertewandel vielleicht am ehesten noch in Kommunen und Mittelstädten wie Bietigheim-Bissingen abgefedert werden, indem sie ein Stück vertrauter Lebensqualität bieten.

Zum Aufbau und Erhalt der Lebensqualität in einer Kommune gehört nun einmal ein solider städtischer Haushalt. Auch für das kommende Jahr liegt uns ein Haushaltsplan vor, der aus Sicht der Freien Wähler durchaus als solide bezeichnet werden kann. Wie in den vergangenen Jahren ist er wieder einmal geprägt von weiter steigenden Personalkosten sowie zeitversetzten Schwankungen bei Schlüsselzuweisungen und Umlagezahlungen an Land und Kreis, die jedoch weitgehend durch Rückstellungen, die das neue Haushaltsrecht zulässt, weitgehend aufgefangen werden können. Er ist geprägt von soliden Einnahmen aus Gewerbesteuern und dem Gemeindeanteil der Einkommensteuer. Diese Einnahmen beruhen auf der nach wie vor guten Konjunkturlage, einer boomenden Wirtschaft und der aktuell sehr günstigen Beschäftigungslage.

Meine Damen und Herren,
ich möchte Sie nicht mit Zahlen wie dem „Zahlungsmittelüberschuss aus laufender Verwaltungstätigkeit“ oder ähnlichem langweilen. Doch eine Zahl sollte man sich doch genauer anschauen. Denn diese Zahl verdeutlicht wieder einmal eine wundersame Geldvermehrung in unserer Stadt, auch wenn sie schlussendlich recht einfache Hintergründe hat. So haben wir im Juni dieses Jahres, also vor gerade einmal einem halben Jahr, einen Nachtragshaushalt verabschiedet, der von einer voraussichtlichen Liquidität zum Ende 2016 von 11,4 Millionen EUR ausgeht. Schlagen wir nun die entsprechende Seite im Haushaltsentwurf 2017 auf, so rechnen wir jetzt zum Jahresende mit einer bereinigten Liquidität von 27,4 Millionen EUR, also mit sagenhaften 16 Millionen mehr. Wenn man hierbei noch berücksichtigt, dass darin bereits unsere anteiligen Kosten für den Ankauf des DLW-Areals enthalten sind, dann kann man nur sagen, Bietigheim-Bissingen geht es nach wie vor richtig gut.
Daran ändert auch unser schon vielfach angesprochenes und diskutiertes Investitions-programm in die Schullandschaft unserer Stadt nichts, das maßgeblich für einen weiteren Rückgang der Liquidität auf rund 14,5 Millionen EUR verantwortlich ist.
Wie in der Vergangenheit auch, so stellt sich die Frage, wie viel von den für Baumaß-nahmen 2017 eingeplanten 17 Millionen EUR überhaupt ausgegeben werden.
Wünschenswert wäre die geplante Investitionstätigkeit auf alle Fälle.
Allerdings sollten wir uns nicht ausschließlich auf unsere Schullandschaft konzentrieren.
Daneben müssen wir dringend in notwendige Infrastruktur- sowie weitere Stadtentwicklungsmaßnahmen investieren und benötigen dafür in den kommenden Jahren Finanzmittel, die wir bereitstellen müssen.

Meine Damen und Herren,
eine künftige Bereitstellung dieser Finanzmittel kann aus Sicht der Freien Wähler nicht einseitig durch massive Ausweitung von Gewerbe- und Industrieflächen und einer somit einhergehenden Erhöhung der Steuereinnahmen erfolgen.
In seiner Rede zur Einbringung diesen Haushalts zitierte Oberbürgermeister Kessing Ludwig Erhard mit dem Satz: „Unser Tun dient nicht nur der Stunde, dem Tag oder diesem Jahr. Wir haben die Pflicht, in Generationen zu denken“.
Für uns gilt dieser Satz nicht nur in Bezug auf Wirtschaftswachstum und steigende Steuer-einnahmen. Er gilt für uns nach wie vor auch im Hinblick auf die hemmungslose Verschwendung von landwirtschaftlich genutzten oder sonstigen Grünflächen. Die Ressource Boden ist nicht vermehrbar. Auch nachfolgende Generationen wollen und brauchen noch Entfaltungsspielräume und -möglichkeiten.
Umso mehr waren wir überrascht und auch durchaus erfreut, dass Bürgermeister Kölz in seiner Einbringungsrede zu diesem Haushaltsplan den Mut hatte, über Steuererhöhungen nach zu denken. Auch wenn wir derzeit finanziell noch gut dastehen, so verzichten wir jedes Jahr auf Einnahmen, die uns zukünftig fehlen werden.
Ruft man im Internet die Übersichtsseite der IHK zu den Gewerbesteuerhebesätzen auf, zeigt sich einmal mehr, dass wir mit 335 Punkten noch deutlich unter dem Schnitt von 357 Punkten liegen.
Für eine Stadt wie Bietigheim-Bissingen, die ihren Bürgerinnen und Bürgern und ihren Firmen und Betrieben eine Infrastruktur bietet, die ihresgleichen sucht, sind die Hebesätze für Gewerbe- und Grundsteuer unglaublich niedrig. Wir finden, sie sind eigentlich zu niedrig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
sicherlich sind niedrige Hebesätze ein Standortvorteil. Doch sie sind nicht der einzige, der heute wichtig ist. So schauen Firmen auch besonders auf die Lage zu ihren Märkten und Partnern oder auf die Verkehrsinfrastruktur. Und neben diesen harten werden die weichen Standortfaktoren immer wichtiger für die Ansiedlung und den Verbleib eines Unternehmens. Zu diesen weichen Faktoren zählen neben dem Wirtschaftsklima einer Stadt auch die Qualität des Wohnens und des Wohnumfelds, die Qualität von Schulen und Betreuungseinrichtungen für Kinder, der Reiz und Freizeitwert einer Stadt durch kulturelle und sportliche Angebote und Möglichkeiten und nicht zuletzt die Umweltqualität. Gerade diese Faktoren sind für die Lebensqualität der Beschäftigten und für die Gewinnung von qualifiziertem Personal von großer Bedeutung.
Der Auf- und Ausbau, die Pflege dieser genannten Punkte und Einrichtungen kostet nun einmal Geld, viel Geld. Man braucht sich nur die ständig steigenden Personalkosten für unsere Kinderbetreuungseinrichtungen oder die Sanierungs- und Instandhaltungskosten unserer Infrastruktur anzuschauen, um dies bestätigt zu finden.

Meine Damen und Herren,
wir sind der Ansicht, und ich weiß, dass ich mit dieser Aussage immensen Gegenwind produzieren werde, dass eine Steigerung der Einnahmen, die zum großen Teil auf unserer Gewerbesteuer basieren, nicht alleine und einseitig durch massive Ausweitung von Industrie- und Gewerbeflächen, zu Lasten der Umwelt getätigt werden darf. Wir müssen nachhaltiger Denken. Daher dürfen künftig moderate Steuererhöhungen kein Tabuthema mehr sein. Unsere derzeit unglaublich niederen Hebesätze lassen uns dazu genügend Spielraum, ohne übers Ziel hinaus zu schießen. Ziel ist und bleibt ein wirtschaftsfreundliches Klima in der Stadt.

Und damit möchte ich auch gleich zu weiteren Schwerpunkten kommen, die unsere Arbeit im nächsten Jahr begleiten werden.
Wie in den vergangenen Jahren auch, wird uns das Thema Verkehr beschäftigen. Wir haben den Eindruck, dass Staus auf den Straßen unserer Stadt immer häufiger vorkommen, und dies nicht nur zu den eigentlichen Hauptverkehrszeiten morgens und abends. Verkehrslärm und Luftverschmutzung nehmen zu und verschlechtern das Wohlbefinden unserer Einwohner, insbesondere an und in der Nähe unserer Hauptverkehrsadern. Im Herbst dieses Jahres wurden uns die Ergebnisse der letzten Verkehrserhebung und -befragung präsentiert. Wir wissen nun, wie sich die Verkehrsströme in und durch Bietigheim-Bissingen zusammensetzen und verhalten. Einzig was bisher fehlt, sind gezielte Lösungsansätze und -vorschläge. Wir hoffen, dass uns diese Anfang kommenden Jahres von der Verwaltung und dem beauftragten Planungsbüro vorgelegt werden. Wir sind allerdings auch der Meinung, dass unser Verkehrsproblem ein regionales Problem ist und nur gemeinsam mit der Region, dem Kreis und unseren Nachbarkommunen halbwegs zu lösen ist. Alles was wir kleinräumig durch Baumaßnahmen, Ampelregelungen oder ähnlichem machen und vielleicht auch verbessern, gleicht Flickschusterei. Haben wir eine Stelle verbessert, bricht ein neues Problem an einer anderen Stelle auf.
Eine sicherlich sinnvolle, zukunftsträchtige Möglichkeit zur Verkehrsverbesserung ist für uns ein weiterer, gezielter Ausbau unseres ÖPNV-Netzes. Auch wenn dieser wiederum zusätzlich unsere Stadtkasse belasten wird.

Meine Damen und Herren,
eigentlich gehört das Thema Verkehrsplanung mit in eine integrierte Stadtentwicklung. Wir sind inzwischen an einem Punkt, auch aufgrund unserer Stadtgröße, angelangt, an dem aus unserer Sicht die Notwendigkeit besteht, Planungsprozesse nicht sektoral, sondern ganzheitlich zu sehen und zu gestalten. Stadtentwicklung, Siedlungsstruktur, Verkehr und Umwelt, aber auch soziale Belange, müssen im Zusammenhang betrachtet werden.
Dies gilt sowohl für die schon seit einer gefühlten Ewigkeit in Planung befindlichen Baugebiete „Valeo-Areal“ in Bietigheim und „Haslacher Weg“ in Metterzimmern als auch bei einer Überplanung des DLW-Areals.
Gerade beim DLW-Areal müssen wir den besonderen Spagat vollführen, die bereits vorhandenen Belastungen durch Bahn, Fahrzeugverkehr und bestehendes Gewerbe in Einklang mit einer Neuplanung zu bringen. Verschiedene Interessen prallen aufeinander. Wohnbebauung ist im Gespräch. Außer dem unbestrittenen Vorteil der Bahnhofsnähe muss man sich sicherlich fragen, ob man hier überhaupt von einer geeigneten, ganz zu schweigen von einer attraktiven Wohnlage sprechen kann. Alternativ könnte man das Gelände durch Abriss von maroden Bestandsgebäuden und Neubau von attraktiven Büro- und Gewerbebauten aufwerten.
Wir müssen uns fragen, was für uns, für unsere Stadt an dieser Stelle wichtiger ist:
den zweifellos fehlenden Wohnraumbedarf, insbesondere auch bezahlbaren, zu decken oder wieder Gewerbeflächen zu überbauen und dadurch deren Bedarf weiter zu vergrößern? Es wird sicherlich ein spannender Entwicklungsprozess, der hier auf uns zukommt.

Meine Damen und Herren,
eingangs erwähnte ich die Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Hunger und Elend zu uns kommen. Auch wenn es bei weitem nicht mehr so viele sind wie vor einem Jahr. Die Aufgaben für die Verantwortlichen in unserer Verwaltung und die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern gehen nicht aus. Waren es damals in erster Linie Fragen der Erst- und Anschlussunterbringung und Versorgung, so geht es nun um den eigentlichen Integrationsprozess der Flüchtlinge. Sprachkurse, schulische und berufliche Ausbildung, Einbindung in den Arbeitsmarkt oder die Suche nach bezahlbarem Wohnraum bestimmen jetzt den Alltag. Was bürgerschaftliche Solidarität und verwaltungsinterner Handlungswille zu leisten vermögen, hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt.
Ganz herzlichen Dank für diese unschätzbare und, für die meisten von uns, völlig geräuschlose Arbeit, die Sie alle täglich leisten.

Meine Damen und Herren,
jede Zeit hat ihre Herausforderungen, so auch in unserer Stadt. Und diesen werden wir uns mit Eifer, Sachverstand und stets kritisch weiterhin annehmen.
Da es schon jetzt genügend für uns alle, ob Verwaltung oder Gemeinderat, zu tun gibt,
hat unsere Fraktion auch in diesem Jahr auf haushaltsrelevante Anträge verzichtet.
Wir Freien Wähler sind überzeugt, dass dieser doch recht klare und unspektakuläre Haushaltsplan für das Jahr 2017 aber auch die mittelfristige Finanzplanung eine solide Grundlage und Basis bietet, die Aufgaben und Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Die Freien Wähler werden daher dem Haushaltsentwurf 2017 und der mittelfristigen Finanzplanung zustimmen.

Bevor ich schließe, möchte ich noch unseren Dank aussprechen. Dank an die vielen Firmen und Betriebe. Und dies nicht nur als wichtiger Steuerzahler. Sie bieten unseren Bürgerinnen und Bürgern Arbeits- und Ausbildungsplätze. Wir danken allen ehrenamtlich Tätigen in unserer Stadt. Ohne Sie würde das Gemeinwesen nicht in diesem Maße nicht funktionieren.
Unser Dank gilt ebenfalls allen Mitarbeitenden der Stadtverwaltung sowie der städtischen Gesellschaften für ihre Arbeit im vergangenen Jahr.

Meine Damen und Herren,
ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Ute Epple (Vorlage überwiegend von Steffen Merkle)
13. Dezember 2016